WG10 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, Mittwoch, 20. Juli 1910

Du müßtest mich so
wahnsinnig lieben, daß
Dir alles andere gleich
ist, nur mit mir
zusammenleben.
Deine fing mit
nichts an, sie dachte
damals so, sie war
aber noch nicht eine
grande dame wie
Du in der Welt gewesen.
Dafvor Dich zu warnen
ist meine Pflicht,
wenn ich auch damit
mein eignes Todesurteil
spreche.
Gropius –
die Stammutter eines
edlen Geschlechts.

Dein Bild ist lieb
und doch wird es mir
schwer Dich darin zu finden,
Du siehst so viel viel
reicher aus. verschaffe mir
ein Bild von meiner !
Ich vergeße nicht Deinen himm-
lischen Anblick bei unserem Abschied

______
Lies recht viel, wie ich es
tue, zwinge Dich dazu,
sie die Bücher sind eine
unerschöpfliche Quelle von
Genüssen; sie sind es die
uns die Seele stark machen
alle Schranken fallen, die
Seele wird frei und sie erfaßt
und liebt immer mehr.
Ich las im \alten Testament im/ Buch Judith
kennst Du es? das sind
große Worte
Des Weibes gleichen ist
nicht auf Erden von Schönheit

                   u Wahrheit.

eben erschrak ich \mitten auf der Straße/, denn ich habe
Dich unsicher vor Augen; Deine
Fotografie irritiert mich,
\ich schloß die Augen u nun he/
nun hab ich Dich aber wieder,
ich sehe Dich mit aufgelösten
Haaren, wie in der ersten
Nacht mit Deinem ###
reinen Gesicht, da ich Dich
Maria nannte. Unverlier-
bare Augenblicke.

_________

 Ich bin in meiner elterlichen
Wohnung, es ist mir ein
trostloses Gefühl, daß Du all
diese Räume nicht kennst,
nicht weißt in welcher Umge-
bung ich weile. Gräßliche Stille
u Einsamkeit, nicht ein
Freund niemand ist

hier, dem ich ein Wort
nur von Dir erzählen könnte

 Wenn ich Dich \doch/ bald
zu meiner
bringen könnte, damit
wäre viel gewonnen.
Unser beider Mütter
vermögen unendlich
viel, sie würden uns
nie verlassen, mit Euch
drei Frauen wage ich
alles. Jetzt fühle ich
so stark wie nie, was
ein gutes Elternhaus
bedeutet. Kenntest Du
es nur erst, Du ver-
stündest mich dann
noch besser.

 Fotos!

Du solltest nicht nur
fühlen, sondern auch
wissen wes Blutes
unsere Kinder sein
werden. Fotogr.
    _____
Ich weiß jetzt, Du verkörperst
mir das, was ich meinen
Stil nennen will, an
Dir werde ich mir darüber
klar werden. \Kunst läßt sich nicht trennen vom
Mensch u Leben, Du bist \mir/ Kunst./
An diesem Abend kehrt
mir der Glaube an mich
selbst zurück. Wärst Du
da gewesen! Du erinnerst
Dich, daß ich Dir von mei-
nem Freunde M. sprach.
Ich hielt ertrug nicht
mehr die Einsamkeit
und suchte ihn auf.

Von Dir durfte ich nicht
reden, biß hielt nieder
was ich hätte ansprechen
mögen und hielt Dir
Wort. Aber dann löste
sich meine Zunge und
ich sprach stunden lange \viele/
Stunden in zusammen- \beredter/
hängender Rede, wie
sie niemand an mir
kennt, über Ehe Rasse
und Kinderzeugung,
[!] Gedanken
das ewig wandelbare
ewig neue Lied:
[!] Gedanken u eigne,
Symbole dessen, was
mich mein gnädiges Schick-
sal in diesen seligen
Wochen der Liebe in Deinen
Armen kosten ließ.

Aus Wirklichkeit wandelt
sich in Filosophie [!], Frucht-
barkeit in Geist und
der Geist wartet nur auf \harrt der/
die \der/ Stunde, der\a/ er \zurückströmen kann/sich
in \die/ lebendige Kraft zurück-
ver zu wandeln vermag.
Instinkt u Intellekt
sind eben zwei untrenn-
bare Dinge, Das eine
besteht du

 Du weißt, daß ich diesen
Abend nur für Dich und
mit Dir gesprochen habe.
Es gelüstete mich nach \diesen/
Verstand es giebt nur
Abend nach Weisheit, oder
kränkt es Dich, daß nur
eine Zeile der süßen Liebes-

Worte entbehrt? Tröste
Dich nur zu bald werde
ich wieder danach dürsten


Apparat

Überlieferung

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Quellenbeschreibung

8 Bl. (8 b. S.) – Notizblock.

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Beantwortet durch AM8 vom 25. Juli 1910 (Lieb – ich habe Dir noch nichts über die Bilder Deiner Familie gesagt): Jetzt fühle ich so stark wie nie, was ein gutes Elternhaus bedeutet. Kenntest Du es nur erst, Du verstündest mich dann noch besser. Fotos!

Datierung

Da WG sich in diesem Entwurf noch einmal zu dem Foto AMs äußerte, das ihm nicht gefiel (Dein Bild ist lieb und doch fällt es mir schwer Dich darin zu finden), muss WG10 in zeitlicher Nähe zu WG9 entstanden sein, in dem das Foto zuerst thematisiert worden war. Inhaltlich beschrieb WG außerdem seinen Aufenthalt in der elterlichen Wohnung in Berlin und ein Treffen mit einem Freund in der Stadt. WG kehrte am 18. Juli 1910 aus Tobelbad zurück (s. WG6), wartete in seiner Neubabelsberger Wohnung bis zum 20. Juli auf eine Nachricht AMs (s. WG7, WG8 und WG9) und fuhr danach wahrscheinlich für eine Nacht in die Wohnung der Eltern nach Berlin, bevor er am 21. Juli nach Timmendorfer Strand weiterreiste, wo am 22. Juli der Geburtstag gefeiert wurde. Es ist daher anzunehmen, dass WG am Abend des 20. Juli seinen Freund traf und dementsprechend WG10 am 20. Juli 1910 verfasste.

Übertragung/Mitarbeit


(Jannik Franz)


A

Dein Bild – s. AM4 vom 18. und 19. Juli 1910 (Beilage).

B

Des Weibes gleichen […] Wahrheit – AT, Buch Judith, 11,21.

C

elterlichen Wohnung – Rankestraße 13 in Berlin-Charlottenburg.

D

Fotos! – Erinnerung an sich, Fotos seiner Familie an zu schicken, s. AM8 vom 25. Juli 1910: Bilder Deiner Familie. Einige dieser Fotos befinden sich heute im Nachlass von in der Wien. , langjährige Angestellte und enge Vertraute, sicherte Besitz nach deren Flucht aus Wien im März 1938 (, S. 19). Zu den einzelnen Fotos s. AM8 vom 25. Juli 1910.

E

meinem Freunde M. – Gemeint ist wahrscheinlich , ein Jugendfreund , mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband, s. , S. 9–19.